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13. Arbeitstreffen des „Netzwerk Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung” vom 24. bis 26.03.2010 in der Akademie Frankenwarte in Würzburg

„Medikale Zeiten“: zur zeitlichen Dimension von Krankheitserfahrung und Gesundheitshandeln

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Nachdem die Arbeitstagung des Netzwerks Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung im vergangenen Jahr „medikale Räume“ ausgelotet hat, soll die kommende Tagung die Dimension „Zeit“ in den Mittelpunkt stellen.
Zeit gehört neben Raum zu den zentralen Determinanten von Kultur, wobei das Verhältnis interdependent ist. Kultur findet in zeitlichen Prozessen statt, verändert sich in der Zeit; Zeit wird kulturell definiert und gestaltet. Im Kontext der Medikalkultur lässt sich die Dimension Zeit vielfältig betrachten: Prozesse von Tradition und Wandel zeigen sich in kulturellen Praxen des Umgangs mit bestimmten Krankheiten sowohl der medizinischen Expertinnen und Experten als auch der von Krankheit Betroffenen. Vorstellungen und Konzepte von Körper, Gesundheit und Krankheit unterliegen zeitlichen Veränderungen und werden in unterschiedlichen sozialen, rituellen und habituellen Formen repräsentiert. Der Körper des Menschen unterliegt in seiner Lebenszeit Veränderungen, die jeweils unterschiedlich bewertet und behandelt werden. Auch Zustände von Krankheit und Gesundheit lassen sich unter dem Aspekt der Zeit betrachten: Besonders interessant erscheinen hier die Übergänge: Die Zeit der Unsicherheit vor der Diagnose, Therapiezeiten, Rekonvaleszenz und die Rückkehr in den „gesunden“ Alltag. Mit dem Begriff des Alltags eröffnet sich ein weiteres Feld, medikalkulturelle Aspekte mit der Frage des Temporären zu erschließen: Welche Zeiten sind reserviert für den Körper, wie nehmen Akteure und Akteurinnen Zeiten von Krankheit wahr und gestalten diese, was für eine Bedeutung hat ein Zeitplan beispielsweise für die Alltagsgestaltung von Menschen mit chronischen Erkrankungen? Auch traditionell volkskundliche Aspekte des Umgangs mit bestimmten Lebensphasen bieten sich der Untersuchung an: Schwangerschaft und Sterben als besondere Zeiten des Übergangs ebenso wie des Prekären und der Krise.
Schon die kurz angerissenen Fragen zeigen deutlich das heuristische Potential, welches eine Fokussierung auf die Dimension Zeit im Kontext medikaler Kulturen bietet. Zur ersten Strukturierung des breiten Themenspektrums bieten sich folgende Blickwinkel an:

I: Krankheitsverhältnisse im Zeitvergleich

Ein vergleichender Blick auf Wandlungsprozesse der Krankheitswahrnehmung und des Umgangs mit Krankheiten verweist auf historische und gegenwärtige Wissensbestände und deren Vermittlung, Tradierung und Institutionalisierung ebenso wie auf alltägliche Lebenspraxen, die mit Aspekten von Krankheit und Gesundheit in interdependenten Beziehungen stehen. Diese ließen sich beispielsweise am historischen Wandel des Todesursachenspektrums nachzeichnen: von der Dominanz der Infektionskrankheiten zur Dominanz der degenerativen Erkrankungen. Auch die Geschichte der Krankheitswahrnehmung im öffentlichen Diskurs ließe sich anhand „skandalisierter“ Krankheiten (z.B. Pest, Cholera, Tuberkulose) und „alltäglicher“ Krankheiten“ (z.B. Masern, Scharlach, Schnupfen) bis in die Gegenwart im Kontext von Seuchen im Zeitalter der Medialisierung (HIV/AIDS, SARS, Schweinegrippe) diskutieren.

II: Altersspezifische Krankheitsbilder

Der Körper eines Menschen verändert sich im Laufe der Lebenszeit. Die Bewertungen der Lebensalter oder einzelner Lebensphasen reichen bis zur Medikalisierung oder gar Pathologisierung: Alter oder Schwangerschaft als Krankheit, der Umgang mit weiblichem wie männlichem Klimakterium, die Institutionalisierung spezieller medizinischer Expertinnen und Experten in Pädiatrie, Geriatrie/Gerontologie etc. Diese wiederum schreiben aufgrund der von ihnen erlangten Deutungsmacht den jeweiligen Lebensaltern spezifische Krankheitsbilder zu: von den Kinderkrankheiten bis zur Altersdemenz.

III: Medikale Praktiken und Therapien im Zeitvergleich

Zu den schon fast „traditionellen“ Themen einer kulturwissenschaftlichen Herangehensweise an medikale Phänomene gehört die Geschichte medizinischer Institutionen, wie die „Geburt der Klinik“, die Professionalisierung von Krankheitsberufen, die Erforschung „vergessener“ Diagnoseverfahren und Heilpraktiken (z.B. Harnschau, Aderlass oder Heliotherapie) sowie die Frage nach kulturellen Bedeutungen zeitgenössischer Tendenzen wie Wellness-Boom und Heilkraft der Esoterik. Auch die aktuellen Debatten um „mündige Patienten“ nach der „Nemesis der Medizin“ schließen hier an.

IV: Körper-Zeit/Medikal-Zeit

Welche Zeitphasen oder Zeitfenster sind im Alltagsleben für die Sorge um und für die Pflege des Körpers reserviert, wie wird diese Zeit gestaltet und empfunden? Hier ließen sich subjektive Körperpraxen und –rituale im Kontext von Krankheit, Gesundheit und „Wellness“ auf die Kategorie Zeit hin befragen, wobei gender-, alters- und kulturspezifische Praxen und Bewertungen beachtenswert wären. Auch ganz subjektive Konzepte wie „heute tue ich mal was für mich/für meine Gesundheit“ bieten Zugang zu alltagskulturellen Handlungs- und Denkmustern, die als Indikatoren für gesellschaftliche Bewertungen von Krankheit, Gesundheit und Körperkonzepten dienen können.

V: Zwischen-Zeiten des Medikalen: vom Gesund-Fühlen zum Krank-Sein

Die Medikalisierung des Körpers und das Einnehmen einer „Patientenrolle“ beginnen nicht erst mit der ärztlichen Untersuchung, mit der medizinischen Intervention oder mit dem Mitteilen einer endgültigen Diagnose. Vielfach befinden sich Betroffene schon während des „Sich-Aufmachens“ in eine Klinik oder zu einem Arzt/einer Ärztin in einem Prozess des Krankseins, obwohl sie sich subjektiv immer noch recht gesund fühlen können. Schlussendlich haben Innovationen in der Medizintechnik wie Screening-Verfahren zur Früherkennung spezifischer Krebsarten, die Zuschreibung zu einer bestimmten Risikogruppe oder die von den Krankenkassen zunehmend eingeforderten Vorsorgeuntersuchungen die Grenzen in der Wahrnehmung vom Gesund-Fühlen zum Krank-Sein verschoben. Schließlich müssen auch narrative Strategien zur Bewältigung der Krankheitserfahrung, etwa in Selbsthilfegruppen oder gesundheitsspezifischen Online-Foren, sowie die Nachbesprechung des Heilungsprozesses in der ärztlichen Sprechstunde zur durch kulturelle Praxen vermittelten und strukturierten „medikalen Zeit“ gerechnet werden.

Diese ersten Ansätze einer möglichen Strukturierung des Themas seien als Angebot und Anregung verstanden, eigene aktuelle Forschungsarbeiten unter der Perspektive des Temporalen vorzustellen. Auch andere, hier nicht explizit genannte Aspekte des zugegebenermaßen breiten Themenfeldes Medikalkultur und Zeit sind als Vorschläge für Vorträge willkommen. Auch wenn das „Netzwerk Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung“ einen disziplinären Bezug im Namen trägt, ist doch die Einbindung in inter- und transdisziplinäre Kontexte ein zentrales Anliegen. Kolleginnen und Kollegen der Nachbardisziplinen sind explizit eingeladen, hier zum Diskurs beizutragen.
Willkommen sind ebenfalls Beiträge aus studentischen Projekten/Abschlussarbeiten. Das Netzwerk Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung versteht sich explizit als Forum, in dem jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen Raum zur Diskussion ihrer Arbeiten gegeben wird. Dieses Forum steht auch Vorschlägen außerhalb des Tagungsthemas offen.

Vorschläge für einen Beitrag bitte in Form eines Abstracts im Umfang von max. 1 Seite bis zum 14. Dezember 2009 an: Dagmar Hänel (dagmar.haenel@eiskultur.de) oder Alois Unterkircher (alois.unterkircher@uibk.ac.at).

Die Tagung findet in der Akademie Frankenwarte in Würzburg statt. Die Kosten für Übernachtung mit Vollpension belaufen sich auf 142,00 Euro pro Person im Doppelzimmer, 168,00 Euro im Einzelzimmer. Auf einen gesonderten Tagungsbeitrag wird verzichtet.
Anmeldungen zur Übernachtung in der Frankenwarte bitte an Frau Iris Paulig, Akademie Frankenwarte (Iris.Paulig@frankenwarte.de, Tel.: 0931 80464-0).